„Kardinal Richelieu“ der islamischen Republik

 von Birgit Cerha, erschienen im „Rheinischen Merkur“, Köln, 16.6.2005
 Warum viele Iraner Hashemi Rafsandschani hassen und dennoch auf ihn hoffen
 
Im Volksmund nennt man ihn wenig schmeichelhaft „kuseh“ (Hai). Skrupellos, gerissen, korrupt und mächtig, das sind die Attribute, die viele Iraner Ali Akbar Haschemi Rafsandschani zuschreiben.
 „Die rote Eminenz“ nannte der einstige Leibwächter von Revolutionsführer Khomeini und mutige journalistische Aufklärer Akbar Gandschi in seinen 2000 erschienen Enthüllungen über den iranischen Geheimdienst Rafsandschani unter Anspielung auf den französischen Staatsmann Kardinal Richelieu. Spätestens seit damals ist der zweimalige Präsident (1989 bis 1997) im Volk zutiefst unpopulär.

Und dennoch besitzt der heute 70-jährige Geistliche bei der Stichwahl gegen den Ultrakonservativen Mahmud Ahmadinejad für das Präsidentenamt am 24. Juni die größeren Chancen. Denn an dem brillianten politischen Instinkt und dem Durchsetzungsvermögen dieses Machtmenschen herrscht wenig Zweifel, Eigenschaften, derer die Islamische Republik in einer Zeit gravierender außenpolitischer Krisen, vor allem in der Atomfrage mit den USA und der EU, dringend bedarf. Seine Fähigkeit, ideologische Überzeugung mit Weitsicht, Überrredungskunst zu Koalitionsbildungen und Meisterschaft in politischer Intrige zu verknüpfen, lassen ihn unter den iranischen Politikern als einzigartig herausragen.
Das haben auch die in der ersten Wahlrunde schwer abgeschlagenen Reformer erkannt, die Rafsandschani in den vergangenen Wochen intensiv umwarb. „Er ist die bessere Wahl zwischen schlecht und noch schlechter“, meint der prominente Studentenführer Mehdi Aminzadeh. Andere Demokraten freilich, wie die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi halten beide für unwählbar und rufen zu einem Boykott auch des zweiten Wahlgangs auf.
Ein kurzer Rückblick auf die lange politische Karriere gibt Aufschluß über Rafsandschanis Eignung für das Präsidentenamt in dieser besonders kritischen Phase. 26 Jahre stand der Sohn eines Pistazien-Farmers ganz im Zentrum der Politik des „Gottesstaates“. Als  einziger aus dem engsten Kreis um Khomeini überstand er alle Bedrohungen und Machtkämpfe, vermittelte erfolgreifh zwischen den einander bekämpfenden Fraktionen des „Gottesstaates“.
Selbst Kritiker gestehen ihm eine stabilisierende Rolle in den 80er Jahren zu, als er als Parlamentspräsident und enger Berater Khomeinis entscheidend dazu beitrug, die Leidenschaften iranischer Revolutionäre zu dämpfen und damit die Errungenschaften der Revolution zu konsolidieren.
Doch die hohen Erwartungen in den Wiederaufbau nach dem Krieg gegen den Irak (1980 – 88) hat Rafsandschani, 1989 erstmals zum Präsidenten gewählt, enttäuscht. Eine Privatisierungswelle kam vor allem den religiösen Stiftungen zugute, mit deren Hilfe sich die Geistlichen bereicherten.  Die Kluft zwischen den Armen und den Neureichen erweiterte sich dramatisch. Rafsandschani – so die weitverbreitete Überzeugung – nutzte seine Machtposition, um ein Vermögen von geschätzter einer Milliarde Dollar aufzuhäufen. Er ist der größter Pistanzienexporteur des Irans. Ihm und seiner Familie gehören mehrere Touristenzentren im In- und Ausland, einer seiner Söhne baut die Teheraner U-Bahn, während der gesamte Rafsandschani-Clan heute weite Teile des iranischen Schwarzmarktes kontrolliert.
Die Liste der von seinen Kritikern vorgebrachten Vorwürfe ist lang. Unter seiner Präsidentschaft herrschte ein besonders repressives Klima. In diese Zeit fallen Serienmorde an politischen Gegnern im In- und Ausland.
Rafsandschanis Versagen, den Einfluß der ultrakonservativen Fraktionen einzudämmen und entscheidende ökonomische Reformen durchzusetzen, hat schließlich das Phänomen Mohammed Khatami geschaffen, der mit seinen Reformideen die Sehnsüchte der Massen  ansprach und mit überwältigender Mehrheit 1997 zu Rafsandschanis Nachfolger gewählt wurde.
Khatami scheiterte. Rafsandschani, wiewohl den Konservativen nahestehend, hat begriffen, dass der Iran zumindest einiger Reformen bedarf. In seinem politischen Programm appelliert er an den iranischen Nationalismus, legt Wert auf die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut, tritt gleichzeitig für Marktreformen und die Öffnung gegenüber der globalen Wirtschaft ein. Er verspricht, die Chancen der Frauen auf dem Arbeitsmarkt und ihre Rechte in der Familie zu verbessern. Und er will gar „fundamentale Freiheiten“ der Bürger vor „extremistischen Tendenzen“ (durch die Ultras) schützen und einen Dialog mit den USA beginnen. Als Präsident wird Rafsandschani, der in den vergangenen Jahren als Chef des mächtigen „Schlichtungsrates“ Khamenei beratend zur Seite gestanden war, weiterhin eng mit dem „Geistlichen Führer“ kooperieren müssen. Doch im Gegensatz zu Khatami dürfte er in Grundsatzfragen weit größeres Durchsetzungsvermögen besitzen.
In der Atomfrage verficht Rafsandschani, wie fast alle iranischen Führer und der Großteil der Bevölkerung die Überzeugung, dass „kein Iraner dieses absolute Recht, d.h. nukleares know how zu erwerben“ aufgeben dürfe. Doch der gewiefte Taktiker ist ein Realist und er hat sich in der Vergangenheit als Meister des Kompromisses und der Geheimpakte (etwa mit den Amerikanern in der unter „Iran-Contra“ bekanntgewordenen illegalen Waffenaffäre der 80er Jahre)  erwiesen.
Intern ermutigt sein persönlicher Erfolg als Geschäftsmann so manche durch die unerfüllten Reformversprechen Khatamis frustrierte Iraner, die sich von ihm zumindest neben einer Entspannung gegenüber dem Westen wirtschaftlichen Aufschwung erhoffen. Ein Basar-Händler faßt die Stimmung seiner Gesinnungsgenossen zusammen: „Ich fühle mich sicherer mit Rafsandschani als mit anderen Kandidaten, die ich nicht kenne. Wenn du hungrig bist, sind dir die Politiker gleichgültig, ob sie nun Rafsandschani heißen, Saddam Hussein oder Hitler“.“