Vater des Systems

veröffentlicht von Birgit Cerha, in: "Die ZEIT", am 05.08.1999,  

Die Studentenunruhen im Iran richteten sich gegen Ayatollah Khamanai - doch der eigentlich starke Mann ist Expräsident Rafsandschani
Teheran
Immer länger, immer weißer wurde in den vergangenen Monaten der Bart Ali Khamanais auf den unzähligen Fotos, die in den Straßen Teherans die Bürger der "Islamischen Republik" an ihre höchste Autorität gemahnen sollen. Alter bürgt im Iran für Weisheit und gebietet damit automatisch Respekt; die Worte weise und weißbärtig bedeuten dasselbe. Dabei ist Khamanais Bart in Wirklichkeit noch von schwarzen Strähnen durchzogen, denn er zählt mit seinen sechzig Jahren im Kreis der Mullahs zu den Jüngeren - ein Mangel, der um so schwerer wiegt, als er ihn auch nicht durch besonderes Charisma auszugleichen vermag.
Inzwischen ist es an den Hochschulen des Landes wieder ruhig; die Konservativen haben den Konflikt zu ihren Gunsten entschieden. Doch die aufbegehrende Jugend, 65 Prozent der Bevölkerung, kann niemand im Iran mehr ignorieren. Khamanai wird sie kaum noch für sich gewinnen können. "Unter der Jugend herrscht eine starke Stimmung gegen den ‰Führer'", hört man an der Teheraner Universität. Rafsandschani hingegen ging geschickter vor. Er näherte sich dem akademischen Nachwuchs auf einem Umweg: Seine jüngere Tochter Fayzeh sollte für ihn die Herzen der Jugend erobern, ohne dass er selbst es sich mit den mächtigen Konservativen verscherzen müsste.
Die heute 39-jährige Mutter zweier Kinder, die sich lange für Sport, nicht aber für Politik interessierte, wurde rasch zur Symbolfigur einer neuen Generation von Iranerinnen, die sich von den Fesseln des jahrhundertealten Patriarchats befreien wollen. Ihre demonstrativen Auftritte in Jeans und Turnschuhen machten Eindruck an den Universitäten. "Wir bewunderten ihren Mut, wenn sie sich gegen den wilden Widerstand der Ultras dafür einsetzte, dass Frauen Rad fahren dürfen", sagt der Sprachstudent Ali. Mit der Forderung, sogar das Präsidentenamt den Frauen zu öffnen, schockierte sie die Konservativen, "Frauen", verkündete sie, "sollten höhere Positionen im öffentlichen Leben erklimmen, auch auf der Ebene der Exekutive". Nicht zuletzt dank ihres Engagements wurde der Sport zum wichtigsten Werkzeug sozialer Veränderung.
Als Präsident verhinderte er den Wahlbetrug der Konservativen
Derweil präsentiert sich ihr 65-jähriger Vater als weiser Führer, der als einziger die wachsende Kluft zwischen den einander bekriegenden Kräften noch zu überbrücken vermag. Seine Anhänger und die nicht geringe Zahl seiner Gegner sind sich einig, dass der Sohn eines mittelständischen Pistazien-Bauerns, inzwischen steinreich, "ein Mann von außergewöhnlicher Intelligenz" ist, der gesunden Menschenverstand mit politischem Scharfsinn und brutaler Tatkraft vereint. Immer wieder bewies der kluge Demagoge ein erstaunliches Geschick dabei, sich an veränderte politische Rahmenbedingungen anzupassen. "Politisches Chamäleon" nennen ihn Kritiker. So zählte "Scheich Haschemi" vor der Revolution zu den radikalsten islamistischen Gegnern des Schahs. Wenig später, nach der Machtübernahme, überwachte er dann die brutale Verfolgung seiner einstigen Mitstreiter.
Rafsandschanis große Stunde schlug, als 1981 eine Bombe in der Zentrale der Regierungspartei explodierte und fast die gesamte Führung tötete. Er wurde zu einem der wichtigsten Berater von Revolutionsführer Khomeini. Dass es ihm 1988 gelang, Khomeinis Rachedurst zu zügeln und den achtjährigen Krieg gegen den Irak zu beenden, danken ihm die Iraner bis heute. Als Khomeini im Jahr darauf starb, verhalf Rafsandschani dem farblosen Khamanai zur Nachfolge. Seit jenen Tagen stehen die beiden heute einflussreichsten Männer des "Gottesstaates" einander sehr nahe.
Kenner der inneriranischen Machtspiele berichten von Spannungen zwischen Rafsandschani und Khatami. Als scheidender Präsident hatte Rafsandschani 1997, als Meinungsumfragen die überwältigende Popularität Khatamis erkennen ließen, nur 48 Stunden vor der Öffnung der Wahllokale Fälschungspläne der Konservativen vereitelt und den Sieg des politischen Außenseiters ermöglicht. Doch dankte Khatami diese Hilfe nicht. Der Kreis seiner engsten Berater blieb Rafsandschani verschlossen. Der wiederum machte seiner Enttäuschung jüngst durch offene Kritik Luft: "Als ich aus dem Präsidentenamt schied, dachte ich, das System erfreue sich relativer Stabilität, es bestünde keine Notwendigkeit mehr für meine Anleitungen und eine jüngere Generation sollte nun in die Fußstapfen der Macht treten. Aber ich dachte nicht, dass sich die Dinge so entwickeln würden."
Auch an anderer Front musste Rafsandschani kürzlich einen Rückschlag hinnehmen: Der Stern seiner Tochter sinkt. 1996 hatte Fayzeh mit einer Million Stimmen einen Parlamentssitz erobert und sich sogleich mit dem mächtigen Justizchef Ayatollah Yazdi angelegt, der die Gerichte des Landes zur Erhaltung der konservativen Macht eifrig missbraucht. "Warum", wetterte Fayzeh, "versäumt es der ehrenwerte Chef der Justiz immer wieder, Gerechtigkeit walten zu lassen?"
Im Mai dieses Jahres schlug Yazdi zurück. Fayzehs Zeitung Zan wurde wegen "antirevolutionärer" Ansichten geschlossen. Der Vater trat nicht zur Rettung seiner bedrängten Tochter aus dem Hintergrund. Zuvor hatte er einen seiner engsten Verbündeten im Stich gelassen, Teherans Exbürgermeister Golamhossein Karbaschi, einen führenden Reformer, den die Konservativen unter dem Vorwand, er sei bestechlich, politisch kaltstellten. Vor allem unter Irans Jugend verlor Rafsandschani damit an Achtung.
Aber auch Fayzeh büßte an Popularität ein. Offenbar eingeschüchtert durch die scharfe Kampagne ihrer politischen Gegner, ging sie seit Schließung ihrer Zeitung mehr und mehr auf Distanz zu Khatami, zu dessen engagiertesten Anhängern sie zuvor gezählt hatte. Sie griff sogar den Präsidenten wegen der wirtschaftlichen Misere offen an und verteidigte energisch die Errungenschaften ihres Vaters. Dieser Kurswechsel kostete sie viel Sympathie. Als sie auf dem Höhepunkt der Studentenunruhen zur aufgebrachten Jugend sprechen wollte, ließ man sie nicht aufs Podium. "Viele", sagt der Student Ali, "sehen in ihr heute vor allem das Werkzeug eines mächtigen Mannes, der sich in allen Fraktionen seinen Einfluss sichern will."
Dabei helfen ihm die "Diener des Aufbaus", eine mit seinem Segen gegründete Partei von Technokraten, die heute Khatami unterstützt und der auch Fayzeh führend angehört. "Diese politische Bewegung", betont der iranische Intellektuelle Bijan Khajehpour, "ist derzeit die einzige Fraktion, die sich mit allen anderen Gruppierungen zu verständigen vermag." Sie kann neue Pakte schließen, je nachdem, in welche Richtung das Pendel ausschlägt.
Ein Umstand spricht dafür, dass es zugunsten Rafsandschanis ausschlagen wird. Seit dem Tod des Khomeini-Sohnes Ahmad vor drei Jahren lebt niemand anders mehr, der dem Imam so nahe stand wie er. Welchen Rat hätte der Gründer des "Gottesstaates" heute erteilt? "Rafsandschani weiß darauf Antwort wie niemand sonst", erläutert der Intellektuelle Khajehpour. "Er erhebt sich damit zum Vater des Systems."