
Die Studentenunruhen im Iran richteten sich gegen Ayatollah
Khamanai - doch der eigentlich starke Mann ist Expräsident Rafsandschani
Teheran
Immer länger, immer weißer wurde in den vergangenen Monaten
der Bart Ali Khamanais auf den unzähligen Fotos, die in den Straßen Teherans
die Bürger der "Islamischen Republik" an ihre höchste Autorität
gemahnen sollen. Alter bürgt im Iran für Weisheit und gebietet damit
automatisch Respekt; die Worte weise und weißbärtig bedeuten dasselbe. Dabei
ist Khamanais Bart in Wirklichkeit noch von schwarzen Strähnen durchzogen, denn
er zählt mit seinen sechzig Jahren im Kreis der Mullahs zu den Jüngeren - ein
Mangel, der um so schwerer wiegt, als er ihn auch nicht durch besonderes
Charisma auszugleichen vermag.
Inzwischen ist es an den Hochschulen des Landes wieder
ruhig; die Konservativen haben den Konflikt zu ihren Gunsten entschieden. Doch
die aufbegehrende Jugend, 65 Prozent der Bevölkerung, kann niemand im Iran mehr
ignorieren. Khamanai wird sie kaum noch für sich gewinnen können. "Unter
der Jugend herrscht eine starke Stimmung gegen den ‰Führer'", hört man an
der Teheraner Universität. Rafsandschani hingegen ging geschickter vor. Er
näherte sich dem akademischen Nachwuchs auf einem Umweg: Seine jüngere Tochter
Fayzeh sollte für ihn die Herzen der Jugend erobern, ohne dass er selbst es
sich mit den mächtigen Konservativen verscherzen müsste.
Die heute 39-jährige Mutter zweier Kinder, die sich lange
für Sport, nicht aber für Politik interessierte, wurde rasch zur Symbolfigur
einer neuen Generation von Iranerinnen, die sich von den Fesseln des
jahrhundertealten Patriarchats befreien wollen. Ihre demonstrativen Auftritte
in Jeans und Turnschuhen machten Eindruck an den Universitäten. "Wir
bewunderten ihren Mut, wenn sie sich gegen den wilden Widerstand der Ultras
dafür einsetzte, dass Frauen Rad fahren dürfen", sagt der Sprachstudent
Ali. Mit der Forderung, sogar das Präsidentenamt den Frauen zu öffnen,
schockierte sie die Konservativen, "Frauen", verkündete sie,
"sollten höhere Positionen im öffentlichen Leben erklimmen, auch auf der
Ebene der Exekutive". Nicht zuletzt dank ihres Engagements wurde der Sport
zum wichtigsten Werkzeug sozialer Veränderung.
Als Präsident verhinderte er den Wahlbetrug der
Konservativen
Derweil präsentiert sich ihr 65-jähriger Vater als weiser
Führer, der als einziger die wachsende Kluft zwischen den einander bekriegenden
Kräften noch zu überbrücken vermag. Seine Anhänger und die nicht geringe Zahl
seiner Gegner sind sich einig, dass der Sohn eines mittelständischen
Pistazien-Bauerns, inzwischen steinreich, "ein Mann von außergewöhnlicher
Intelligenz" ist, der gesunden Menschenverstand mit politischem Scharfsinn
und brutaler Tatkraft vereint. Immer wieder bewies der kluge Demagoge ein
erstaunliches Geschick dabei, sich an veränderte politische Rahmenbedingungen
anzupassen. "Politisches Chamäleon" nennen ihn Kritiker. So zählte
"Scheich Haschemi" vor der Revolution zu den radikalsten
islamistischen Gegnern des Schahs. Wenig später, nach der Machtübernahme,
überwachte er dann die brutale Verfolgung seiner einstigen Mitstreiter.
Rafsandschanis große Stunde schlug, als 1981 eine Bombe in
der Zentrale der Regierungspartei explodierte und fast die gesamte Führung
tötete. Er wurde zu einem der wichtigsten Berater von Revolutionsführer
Khomeini. Dass es ihm 1988 gelang, Khomeinis Rachedurst zu zügeln und den
achtjährigen Krieg gegen den Irak zu beenden, danken ihm die Iraner bis heute.
Als Khomeini im Jahr darauf starb, verhalf Rafsandschani dem farblosen Khamanai
zur Nachfolge. Seit jenen Tagen stehen die beiden heute einflussreichsten
Männer des "Gottesstaates" einander sehr nahe.
Kenner der inneriranischen Machtspiele berichten von
Spannungen zwischen Rafsandschani und Khatami. Als scheidender Präsident hatte
Rafsandschani 1997, als Meinungsumfragen die überwältigende Popularität
Khatamis erkennen ließen, nur 48 Stunden vor der Öffnung der Wahllokale
Fälschungspläne der Konservativen vereitelt und den Sieg des politischen
Außenseiters ermöglicht. Doch dankte Khatami diese Hilfe nicht. Der Kreis
seiner engsten Berater blieb Rafsandschani verschlossen. Der wiederum machte
seiner Enttäuschung jüngst durch offene Kritik Luft: "Als ich aus dem
Präsidentenamt schied, dachte ich, das System erfreue sich relativer
Stabilität, es bestünde keine Notwendigkeit mehr für meine Anleitungen und eine
jüngere Generation sollte nun in die Fußstapfen der Macht treten. Aber ich
dachte nicht, dass sich die Dinge so entwickeln würden."
Auch an anderer Front musste Rafsandschani kürzlich einen
Rückschlag hinnehmen: Der Stern seiner Tochter sinkt. 1996 hatte Fayzeh mit
einer Million Stimmen einen Parlamentssitz erobert und sich sogleich mit dem
mächtigen Justizchef Ayatollah Yazdi angelegt, der die Gerichte des Landes zur
Erhaltung der konservativen Macht eifrig missbraucht. "Warum",
wetterte Fayzeh, "versäumt es der ehrenwerte Chef der Justiz immer wieder,
Gerechtigkeit walten zu lassen?"
Im Mai dieses Jahres schlug Yazdi zurück. Fayzehs Zeitung
Zan wurde wegen "antirevolutionärer" Ansichten geschlossen. Der Vater
trat nicht zur Rettung seiner bedrängten Tochter aus dem Hintergrund. Zuvor
hatte er einen seiner engsten Verbündeten im Stich gelassen, Teherans
Exbürgermeister Golamhossein Karbaschi, einen führenden Reformer, den die
Konservativen unter dem Vorwand, er sei bestechlich, politisch kaltstellten.
Vor allem unter Irans Jugend verlor Rafsandschani damit an Achtung.
Aber auch Fayzeh büßte an Popularität ein. Offenbar
eingeschüchtert durch die scharfe Kampagne ihrer politischen Gegner, ging sie
seit Schließung ihrer Zeitung mehr und mehr auf Distanz zu Khatami, zu dessen
engagiertesten Anhängern sie zuvor gezählt hatte. Sie griff sogar den
Präsidenten wegen der wirtschaftlichen Misere offen an und verteidigte
energisch die Errungenschaften ihres Vaters. Dieser Kurswechsel kostete sie
viel Sympathie. Als sie auf dem Höhepunkt der Studentenunruhen zur aufgebrachten
Jugend sprechen wollte, ließ man sie nicht aufs Podium. "Viele", sagt
der Student Ali, "sehen in ihr heute vor allem das Werkzeug eines
mächtigen Mannes, der sich in allen Fraktionen seinen Einfluss sichern
will."
Dabei helfen ihm die "Diener des Aufbaus", eine
mit seinem Segen gegründete Partei von Technokraten, die heute Khatami
unterstützt und der auch Fayzeh führend angehört. "Diese politische
Bewegung", betont der iranische Intellektuelle Bijan Khajehpour, "ist
derzeit die einzige Fraktion, die sich mit allen anderen Gruppierungen zu
verständigen vermag." Sie kann neue Pakte schließen, je nachdem, in welche
Richtung das Pendel ausschlägt.
Ein Umstand spricht dafür, dass es zugunsten Rafsandschanis
ausschlagen wird. Seit dem Tod des Khomeini-Sohnes Ahmad vor drei Jahren lebt
niemand anders mehr, der dem Imam so nahe stand wie er. Welchen Rat hätte der
Gründer des "Gottesstaates" heute erteilt? "Rafsandschani weiß
darauf Antwort wie niemand sonst", erläutert der Intellektuelle
Khajehpour. "Er erhebt sich damit zum Vater des Systems."